Rinderzucht
Verbesserung des Tierwohls durch Zuchtmaßnahmen

Bei Diskussionen zum Tierwohl im Rinderbereich denkt man zunächst meist an Haltungsformen oder Stalleinrichtungen. Es gibt jedoch Tierwohlbereiche, die unmittelbar von der Rinderzucht beeinflusst werden können.

Neue Rechenmethoden bei der Zuchtwertschätzung, Untersuchungen der Erbanlagen und Erfassung von Gesundheitsdaten können das Tierwohl in vielen Bereichen durch züchterische Maßnahmen verbessern.

Entwicklung von Fitness-Zuchtwerten
Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden Zuchtwerte für die ersten Fitness-Merkmale entwickelt. Mit der Einführung des Gesamtzuchtwertes (GZW) bei der Rasse Fleckvieh im Jahr 1998 haben die Fitness-Merkmale schlagartig an Bedeutung bei der Zuchtarbeit gewonnen. Die Gewichtung der Fitnessmerkmale im GZW wurde immer mehr angehoben und nimmt aktuell mit 44 % den größten Anteil ein, neben den Blöcken Milch (38 %) und Fleisch (18 %) - siehe Abbildung ein. Sobald Zuchtwerte für Merkmale wie z.B. Nutzungsdauer (Langlebigkeit), Kalbeverlauf, Vitalität oder Eutergesundheit vorlagen, konnten diese bei der Bullenauswahl oder Selektionsmaßnahmen berücksichtigt werden. Aufgrund des langen Generationsintervalls bei Rindern dauert es allerdings Jahre bis Ergebnisse von Zuchtentscheidungen sichtbar werden.
Kühe verbleiben länger im Betrieb
In Abbildung 2 ist aufgeführt wie sich der Zuchtwert Nutzungsdauer eines Bullen auf die Langlebigkeit seiner Töchter in der Praxis auswirkt. Dabei ist ersichtlich, dass Töchter von Bullen mit einem Zuchtwert bei der Nutzungsdauer von 120, 4,2 Laktationen und damit knapp eine Laktation oder rund ein Jahr länger auf den Betrieben verbleiben als Töchter von Bullen mit einem Nutzungsdauerzuchtwert von nur 80. Durch gezielte Bullenauswahl kann somit die Langlebigkeit der Kühe deutlich gesteigert werden. Dass dies tatsächlich auch der Fall ist, zeigt Abbildung 2.
Die Nutzungsdauer bzw. Langlebigkeit der niederbayerischen Fleckviehkühe war durch die Steigerungen der Milchleistung und deren negativer genetischer Beziehung zur Langlebigkeit über viele Jahre leicht rückläufig. Trotz weiterer Verbesserungen bei der Milchleistung konnte u.a. durch züchterische Berücksichtigung der Fitnessmerkmale die Langlebigkeit in den letzten 10 Jahren kontinuierlich gesteigert werden und hat mittlerweile das Niveau von 1995 deutlich überschritten (siehe Abbildung 3).
Schwergeburten deutlich reduziert
Der Geburtsverlauf hängt unmittelbar mit dem Tierwohl zusammen, einerseits für das Kalb, andererseits für die Mutter des Kalbes. Schwergeburten sind für beide Tiere sehr schmerzhaft und können auch lebensbedrohlich sein. In der Praxis kommt dem Zuchtwert für Kalbeverlauf insbesondere bei der Besamung von Kalbinnen eine große Bedeutung zu. Die genetische Entwicklung des Kalbeverlaufs war in den letzten Jahren deutlich positiv. Dies bestätigt sich auch anhand der tatsächlichen Ergebnisse in Bayern (siehe Abbildung 4). So verringerten sich die Schwergeburten mit tierärztlicher Hilfe bzw. Totgeburten bei Fleckvieh-Erstlingsgeburten im Zeitraum von 2000 bis 2020 um 41 % bzw. 33 %. Auch bei den Ergebnissen ab dem 2. Kalb, die generell niedriger liegen, gab es weitere Verbesserungen.
Vermeidung von Erbfehlern und Zucht auf Hornlosigkeit
Missbildungen, die genetisch bedingt sind, führen bei Rindern zu Schmerzen und Leiden der betroffenen Tiere und zu wirtschaftlichen Verlusten für die Landwirte. Seitdem alle Bullen im Rahmen der genomischen Zuchtwertschätzung auf bekannte Erbfehler und genetische Besonderheiten wie der Hornlosigkeit untersucht werden (ab 2011), werden nur in absoluten Ausnahmefällen Träger von Tierwohl-relevanten Erbfehlern von Besamungsstationen angekauft. Die Genfrequenzen für Erbfehler wie Spinnengliedrigkeit (A), erhöhte Aufzuchtverluste (BH2), Kälberfrühsterblichkeit (FH5), Bluter (TP) oder entzündliche Hautveränderungen (ZDL) sind bei den Bullenjahrgängen in den letzten 10 Jahren praktisch auf Null zurückgegangen. Da Erbfehler bei Nachkommen nur auftreten können, wenn das Schadgen von beiden Eltern vererbt wird, können bekannte Erbfehler vermieden werden, wenn nur Bullen eingesetzt werden, die keine Träger von Erbfehlern sind.

Deutlich angestiegen ist dagegen der Anteil der Bullen, die das Hornlosgen (P) besitzen. Bei genetisch hornlosen Kälbern kann das mechanische bzw. thermische Enthornen entfallen, wodurch dieser Eingriff beim Kalb und der dabei geforderte Medikamenteneinsatz vermieden werden. In Niederbayern werden mittlerweile bei der Besamung von Rindern und Kühen zu rund 70 % genetisch hornlose Bullen verwendet - siehe Abbildung 5.

 Die Gewichtung der Fitnessmerkmale im GZW wurde immer mehr angehoben und nimmt aktuell mit 44 % den größten Anteil ein, neben den Blöcken Milch (38 %) und Fleisch (18 %).

Abbildung 1

Töchter von Bullen mit einem Zuchtwert bei der Nutzungsdauer von 120, 4,2 Laktationen und damit knapp eine Laktation oder rund ein Jahr länger auf den Betrieben verbleiben als Töchter von Bullen mit einem Nutzungsdauerzuchtwert von nur 80

Abbildung 2

Trotz weiterer Verbesserungen bei der Milchleistung konnte u.a. durch züchterische Berücksichtigung der Fitnessmerkmale die Langlebigkeit in den letzten 10 Jahren kontinuierlich gesteigert werden und hat mittlerweile das Niveau von 1995 deutlich überschritten

Abbildung 3

So verringerten sich die Schwergeburten mit tierärztlicher Hilfe bzw. Totgeburten bei Fleckvieh-Erstlingsgeburten im Zeitraum von 2000 bis 2020 um 41 % bzw. 33 %.

Abbildung 4

Die Genfrequenzen für Erbfehler wie Spinnengliedrigkeit (A), erhöhte Aufzuchtverluste (BH2), Kälberfrühsterblichkeit (FH5), Bluter (TP) oder entzündliche Hautveränderungen (ZDL) sind bei den Bullenjahrgängen in den letzten 10 Jahren praktisch auf Null zurückgegangen.

Abbildung 5

Fazit

  • Das Tierwohl spielt in der Rinderzucht bereits sehr lange eine große Rolle, auch wenn es ursprünglich nur indirekt in der Zucht berücksichtigt werden konnte.
  • Erst durch die Verfügbarkeit entsprechender Daten und der Möglichkeit hochwertige Zuchtwertschätzverfahren zu entwickeln, sind Tierwohl, Fitness und Gesundheit von einer Nebenrolle zu einem zentralen Element bei den Zuchtentscheidungen geworden.
  • Mittlerweile werden Fitness- und Gesundheitsmerkmale im Zuchtziel (GZW) höher gewichtet als andere Merkmalsblöcke.
  • Eine weitere Verschiebung der Gewichtung im Zuchtziel in Richtung Fitness und Gesundheit könnte durch die Hereinnahme von neuen Gesundheitsmerkmalen wie Klauengesundheit und Stoffwechselstabilität in den nächsten Jahren erfolgen.